Stand: September 2024:
Einführung:
Hätte Heinrich Heine im September 1824 – also vor 200 Jahren – dieses schmale Tal mit den kleinen Seitentälern, seinen steilen Berghängen und oft versteckten Ausblicken, also diese vielfältige Lerbacher Landschaft wirklich genauer kennengelernt, dann hätte er seine fremdgeschilderte Lerbach-Erwähnung sicherlich sogar unterlassen oder geändert, sondern ausführlich neu formuliert.
Hier die Einzelheiten:
Im September 2024 sind es 200 Jahre her, dass der junge Düsseldorfer Student H. Heine – gerade 27 Jahre alt – seine Wanderung durch den Harz unternommen hat.
H. Heine, der sich erst nach seiner Taufe 1825 Heinrich nannte, beschreibt in dem Reisebericht seine Wanderung von Göttingen durch den Harz von Osterode nach Clausthal und weiter über den Brocken bis nach Ilsenburg. Er schildert die Landschaft, aber er begegnet dabei auch bekannten und unbekannten Zeitgenossen, die er mit anderen Personen teilweise eher kritisch, meist aber humorvoll vergleicht und beschreibt.
Nachdem man wie Heine von Düsseldorf kommend seine Studienstadt Göttingen verläßt und über Bovenden, Nörten, Northeim den Harz nah bei Osterode erreicht, dann hat man vom Uerder Berg aus den gleichen Ausgangspunkt für eine Harzreise wie damals im Herbst des Jahres 1824 der junge H. Heine.
Auch heute noch ist es trotz vieler Veränderungen beeindruckend, wenn man von Northeim kommend vom Uerder Berg auf Osterode und den Harz schaut.
Heinrich Heine übernachtete in Osterode und machte sich am nächsten Morgen auf seinen Weg in Richtung Clausthal.
Zuvor besuchte er noch die „Alte Burg“, nach Heines Schilderung schon damals nur noch die Hälfte eines großen, dickmaurigen, wie von Krebsschäden angefressenen Turmes. Über die Alte Harzstraße gelangte er sodann auf die erste Anhöhe über der Stadt. Er schaute noch einmal hinab ins Tal, „wo Osterode mit seinen roten Dächern aus den grünen Tannenwäldern hervorguckt wie eine Moosrose“.
(c) Friedrich Armbrecht, Osteroder Echo vom 02. Juli 1981
Auf der Alten Harzstrasse, vorher auch Heerstrasse genannt, einem uralten Transportweg (seit dem 12. Jahrhundert) auf dem Bergrücken des Langenberg zwischen dem Bremketal und dem Lerbachtal in den Oberharz, erreichte er nach wenigen Kilometern die erste Anhöhe bei Lerbach.
„Ein kleiner Junge, der für seinen kranken Oheim im Walde Reisig suchte, zeigte mir das Dorf Lerbach, dessen kleine Hütten, mit grauen Dächern, sich über eine halbe Stunde durch das Tal hinziehen. Dort wohnen … (mehr auf Seite 17 des Buches „Die Harzreise“) … Der kleine Junge stand mit den Bäumen in gar eigenem Einverständnis; er grüßte sie wie gute Bekannte, und sie schienen rauschend seinen Gruß zu erwidern. Er pfiff wie ein Zeisig, ringsum antworteten zwitschernd die anderen Vögel, und ehe ich mich versah, war er mit seinen nackten Füßchen und seinem Bündel Reisig ins Dickicht fortgesprungen.“ – (c) Heinrich Heine, Die Harzreise
Dem damals sehr bekannten Reiseführer von Friedrich Gottschalck – alias Ferdinand Müller – „Gottschalcks Taschenbuch für Reisende in den Harz“ liegt als bedeutsame Grundlage die schon im Jahr 1792 von Ludwig Wilhelm Gilbert erschienene umfangreiche Beschreibung des Harzes zugrunde.
Darin sind ausführliche Lerbach-Beschreibungen enthalten, die später auszugsweise – immer wieder fast wörtlich – genannt werden.
Auch Heinrich Heine hatte nach eigenen Angaben den Reiseführer „Gottschalcks Taschenbuch für Reisende in den Harz, 2. Ausgabe“ auf seiner Harzwanderung dabei und als Orientierung benutzt.
Die darin enthaltene Wegbeschreibung von Osterode nach Clausthal besagt eine 3/4-Stunde Laufzeit bis Lerbach und „von da einen steilen Fußweg hinan, wo man auf die Chaussee kommt, an welcher die Ziegelhütte liegt, nach Clausthal 1 Stunde“.
Schon die Beschreibungen im Jahre 1792 von Ludwig Wilhelm Gilbert und der Gottschalck-Reiseführer enthalten fast wörtlich die gleichen „fragwürdigen“, nicht schmeichelhaften Passagen über Lerbach und seine Bewohner, wie sie auch Heine – ohne Quellenangabe – erwähnt hat und ohne die Fakten im Lerbachtal selber geprüft und festgestellt zu haben.
Die Reisebuch-Auszüge über Lerbach muß man also so wahrnehmen, als ob auch Gottschalck seine Angaben über Lerbach nicht selber festgestellt, sondern auch nur von Gilbert „übernommen“ hat.
Und Friedrich Gottschalk räumt selber ein: “ Bei dem allen habe ich es aber doch nicht vermeiden können, in den Reiserouten hier und da eine Lücke zu lassen, auch kann es wohl sein, dass sich, ohne mein Wissen, manche Unrichtigkeit eingeschlichen hat. Größten Theils liegt dies aber in der Natur solcher Werke, zum Theil auch im Mangel an Nachrichten. Jetzt, wo dieses Büchlein in die Hände solcher Personen kommen kann, welche Gelegenheit und Kenntnisse besitzen, das Fehlende zu ergänzen, jetzt darf ich hoffen, dass man mir behülflich sein werde, jeden Mangel desselben abzuhelfen.“
Auch Heinrich Heine schreibt am Schluß seiner Reiseschilderungen:
„Die >Harzreise< ist und bleibt ein Fragment, … Mögen die einzelnen Werke immerhin Fragmente bleiben, wenn sie nur in ihrer Vereinigung ein Ganzes bilden. Durch solche Vereinigung mag hier und da das Mangelhafte ergänzt, dass Schroffe ausgeglichen und das allzu Herbe gemildert werden. Dieses würde vielleicht schon bei den ersten Blättern der >Harzreise< der Fall sein, und sie könnten wohl einen minder sauern Eindruck hervorbringen, wenn man anderweitig erführe, dass der Unmut … den ich gegen … im allgemeinen hege … doch lange nicht so groß ist, wie die Verehrung, die ich für einige Individuen dort empfinde„.
Umfangreiche Einblicke in die frühen Aufzeichnungen über den Harz hat mir Dr. Uwe Lagatz, Wernigerode zugänglich gemacht.
Mehr unter: https://digital-beta.staatsbibliothek-berlin.de/werkansicht?PPN=PPN675904803&PHYSID=PHYS_0005
Danach komme ich zu folgendem Ergebnis:
Die damaligen Beschreibungen über das Lerbachtal sind nunmal seit mehr als 200 Jahren vorhanden. Aber einige Relativierungen sind sicherlich jetzt angebracht, da dem Lerbachtal seit langer Zeit mit den damaligen Beschreibungen ein überzogen fragwürdiger Ruf angeheftet wird.
Was für ein Versäumnis, daß Heinrich Heine dem Dorf Lerbach offensichtlich nur von oben aus der Höhe der Alten Harzstrasse nur wenige AugenBlicke gegönnt hat.
Wahrscheinlich von der Alten Harzstrasse aus, wo früher eine Bank am Wildgatter stand und ungefähr dort, wo heute eine webcam den durch Büsche halbverdeckten Blick auf das Tal anbietet – diese Aussicht auf das Lerbachtal könnte demnach also auch „Heinrich-Heine-Blick“ genannt werden.
Unten im Tal und an den Hängen durchlebten die Lerbacher damals eine besonders harte Zeit. Zwischen dem 16. und bis Anfang des 20. Jahrhunderts wurde im Harzer Diabaszug, der sich von Osterode bis Bad Harzburg quer über den Harz hinzieht, ein mühevoller Erzbergbau betrieben.
Und in den Lerbacher BergHängen war eine besondere Mächtigkeit an Erzen vorhanden und erzeugte einen intensiven Erzabbau. Dazu kamen weitläufige Waldarbeiten für die HolzkohleHerstellung durch Köhlereien. Das alles unter unsagbar harten Arbeits- und Lebensbedingungen.
In der Chronik des Lerbacher Pastor Voigt gibt es eine genauere Beschreibung des Lerbachtales , die das Tal wenige Jahre nach der „Harzwanderung“ darstellt (siehe Lerbacher Heimatblätter Nr. 53.2023, Seite 82).
„ Um das Jahr 1830 war die Lage des Ortes noch viel versteckter und dumpfer als heute. Der Wald trat an manchen Stellen viel näher an die Häuser heran. Der obere Teil des Mühlentals und ein großer Teil der „Winterseite“, vom Mühlental fast bis zum Hüttenteiche, war damals – bis 1845 hin – noch bewaldet. Der obere Hang des Kiepenlochs, der Jürgeskopf, wurde erst im Herbst 1830 zur Wiese urbar gemacht und war bis dahin gleichfalls bewaldet. Auch der jetzigen Schule gegenüber reichte der Wald in älterer Zeit bis zum Thale hinunter. Als 1728 der Lerbacher Friedhof angelegt wurde, war die dazu gekaufte Wiese noch noch nicht lange vorher erst u rbar gemacht. Dort, wo die höchste Erhebung des Roten Sohlkopfes den Sonnenstrahlen den Zutritt in die Häuser und auf die Dorfstraße wehrte, dauert die sonnenlose Zeit In Lerbach von Ende November bis Ende Januar. Dies gilt z.B. auch für das Pfarrhaus und Kirche.“
Hätte Heinrich Heine dieses schmale Tal mit den kleinen Seitentälern, seinen steilen Berghängen und oft versteckten Ausblicken, also diese vielfältige Lerbacher Landschaft und das Leben im Dorf wirklich kennengelernt, dann hätte er seine fremdgeschilderte Lerbach-Erwähnung sicherlich unterlassen oder geändert und ausführlich neu formuliert.
Der damals 27-jährige Heinrich Heine war gerade am Beginn seines Jura-Studiums, interessierte sich aber schon deutlich mehr für die Dichtkunst. In dieser vorindustriellen Zeit, in der sich viele Gesellschaftsveränderungen anbahnten, hatte Heine noch nicht die spätere Lebenserfahrung und zeitkritischen Gesprächspartner erlebt wie später mit Balzac, Berlioz, Chopin, Dumas, Victor Hugo, Georg Sand, Ferdinand Lassalle, Karl Marx, u.a.. Sonst würde Heine wohl auch die damaligen drastischen Lerbacher Lebensverhältnisse besser erkannt, mehr beachtet und damals wahrscheinlich schon sozialkritisch beschrieben haben.
Aber dann wäre das Lerbachtal heute durch Heinrich Heines „Die Harzreise“ erheblich populärer und nicht mehr nur ein „verborgenes Juwel im Harz“.
Offensichtlich ist Heine also damals auf der natursteingewachsenen Alten Harzstrasse bergauf auf dem Langenberg an Lerbach und der Ziegelhütte vorbei Richtung Clausthal gewandert.
Als nächstes berichtet Heine dann auch schon von Clausthal und seinen weiteren Beobachtungen von Mensch und Natur auf der Harzwanderung.
Und Heine schreibt über Clausthal: „In dieses nette Bergstädtchen, welches man nicht früher erblickt, als bis man davor steht, gelangte ich, als eben die Glocke zwölf schlug und die Kinder jubelnd aus der Schule kamen.“
Wer weiter über Heines Harzwanderung lesen möchte, dem sei das folgende Buch empfohlen:
Die Harzreise – Heinrich Heine, Anaconda Verlag
Heinrich Heines Harzreise ist längst ein literarischer Klassiker – und, dessen unbeschadet, das wohl vergnüglichste und beliebteste Werk des großen Dichters.
Im Herbst des Jahres 1824 beginnt er seine Reise als 27-Jähriger in Göttingen, jener Stadt, die berühmt ist durch ihre „Würste und Universität“ und wandert binnen mehrerer Wochen über den Brocken bis hinauf zum Ilsenstein.
Passagen genussvoll beißender Spottlust über das who is who seiner Zeit wechseln sich ab mit häufig zart–poetischen Natureindrücken und machen Heines „Harzreise“ zu einer bis heute erfrischenden Lektüre.
Heines „Harzreise“ erschien zuerst 1826 als Teil 1 der „Reisebilder“ bei Hoffmann und Campe in Hamburg. … Der Text wurde inzwischen unter Wahrung von Lautstand, Interpunktion sowie sprachlich-stilistischer Eigenheiten der neuen deutschen Rechtschreibung angepasst.
Auch die vom Heinrich-Heine-Institut, Düsseldorf überlassene Original-Version von „Die Harzreise“ bestätigt diese Erkenntnisse.
Außerdem ist dieses Hörbuch empfohlen:
mehr unter:
https://www.youtube.com/watch?v=qt-LJmYDlls
(Erzählt wird im Hörbuch über Osterode ab Pos. 19:30, über Lerbach ab Pos. 23:40, und über Clausthal ab Pos. 26:00)
Viel Freude beim Lesen oder Hören wünscht
Harzliche Grüße
Wolfgang Gärtner
Ruf 0211-403411
email: gaertner@interform.de